Der Traum vom Raum
Woher kommen die Bilder? Aus dem Dunkel dort oder jenem Licht? Aus diesen Schächten und Höhlen? Sammeln sie sich in den Schatten der Wände, der Finsternis der Krater? Die kaum vom Licht erhellten Landschaften und Architekturen wären dann das, was die Bilder von Andrea Zaumseil zeigen, die Schwärze der Nacht, die hier herrscht, zeigte sich aber zugleich auch als Metapher für das Unbekannte und Unbewußte, aus dem sie kommen. In das Dunkel der Imagination und des Traums tastet sich die Künstlerin hinein und aus ihm entfaltet sie die Klarheit ihrer Bilder.
Zaumseil formuliert ihre Bilder in der Skulptur und der Zeichnung. Der Stahl, den sie für ihre Skulpturen verwendet, bietet großen Widerstand. Baustahlplatten in unterschiedlicher Größe werden von der Künstlerin zu einer plastischen Form verschweißt, gehämmert, geschliffen, patiniert. Ohne Vorstudie entsteht diese Form weitgehend aus dem Arbeitsprozess. Die Kraft und Energie, die Zaumseil für die Verwandlung des harten Materials in eine organische Figur investiert, bleibt in der Skulptur enthalten. Ihre dunkle Schwere beansprucht eine unübersehbare Präsenz im Raum. Gegenüber dem langsamen und komplizierten Aufbau der Skulptur erlaubt die Arbeit mit Pastellkreide in der Zeichnung schnellere Reaktionen auf Vorstellungen und Empfindungen; das Unbewusste und Unwillkürliche kann direkter einfließen, vor allem in den kleinen Zeichnungen und Zeichenheften, in denen die zeichnende Hand oft unvorhergesehene Wege geht. In den großen Zeichnungen, die durch ihr Format einen geradezu körperlichen Kontakt zum Betrachter aufnehmen, wächst der Anteil der Planung.
So reduziert und konzentriert die Formen in den Zeichnungen und Skulpturen erscheinen, sie sind doch gegenständlich und dinghaft, das Ziel der Künstlerin ist kein Minimalismus, der auf eine absolute Selbstbezüglichkeit des Bildes zielt. Vielmehr geht es ihr in ihrer Arbeit umgekehrt um die Intensivierung und Steigerung des Anthropomorphen als zentraler Qualität und Legitimation des Bildes. Das Bild soll authentisch und mit sich identisch sein, es soll als autonomes Bild bestehen und gerade dadurch etwas Wesentliches zum Menschen und seiner Situation mitteilen können. Skulptur und Zeichnung beziehen sich auf den Menschen, aber nicht im Sinne einer Abbildlichkeit. Die Skulpturen Zaumseils sind eigene fremde Wesen, die alleine oder in Gruppen auftreten, empfindlich und aggressiv wirken, sich öffnen und doch mit Stacheln und Haken ausgestattet sind. Ihre massiven Körper deuten ein Innenleben an, das sie zugleich verbergen. Eben in dieser Leibhaftigkeit können sie mit dem Betrachter kommunizieren, ihn anschauen, gewichtig, bewegt, balancierend erscheinen, ruhen, schlafen, liegen und an der Wand lehnen. Wenn die Zeichnungen Räume zeigen, Gebäude und Landschaften, dann ist auch hier der Mensch abwesend anwesend, denn es sind potentielle Räume für den Menschen, in die der Betrachter sich immer wieder hineindenkt, auch wenn es in ihren Dimensionen fremde und unverfügbare ortlose Räume bleiben, kerkerhafte Enge und fassungslose Weite, blitzlichthaft aufscheinende Ausschnitte aus einem Unüberschaubaren.
Zaumseils Bilder sprechen aus sich, sie folgen einer eigenen Logik, dennoch entstehen sie nicht ohne die Anschauung und Erfahrung der Wirklichkeit. Die Bilder halten Kontakt zu Dingen und Erinnerungen an Dinge, die uns scheinbar vertraut sind, die aber in den Bildern in etwas Unvertrautes, Anderes transformiert werden. Die Künstlerin betreibt somit nicht Simulation, sondern Imagination von Wirklichkeit, Bild-Wirklichkeit. Sie erfindet, wie sie schreibt, „Welten, die im realen Außen keine direkte Entsprechung haben und doch so nah an diesem realen Außen sind, dass sie ein Teil davon sein könnten“. Diese Berührung prägt die Erfahrung des Bildes.
Zaumseil bezieht sich dabei nicht auf eine Vorstellung von Wirklichkeit als festem abgeschlossenem System, als begrenztem Feld des Sichtbaren und Überprüfbaren, als bloße Summe des jeweils Gewussten. Zur Wirklichkeit gehört auch das Ungewusste und Unbewusste, das Verschüttete und noch nicht Wahrgenomme. Gerade auf diese unabsehbaren Bereiche erhebt das Bild Anspruch, will sie bildhaft aktivieren. Es verwandelt nicht nur die äußere Wirklichkeit, sondern sucht ebenso Wege in eine innere Wirklichkeit. Das Bild ist der Ort, an dem die Künstlerin ihren Zweifel an der Erklärbarkeit der Welt formuliert. Die Erwartung, mit immer größerem Wissen, den Anteil des Nicht-Gewußten verringern zu können, läuft ins Leere, vielmehr erweitert sich mit dem Umfang des Erklärbaren auch der Umfang des Unerklärbaren. Stellt man sich das Wissen als einen wachsenden Kreis vor, so wächst mit dem zunehmenden Radius ebenso die Berührungsfläche mit dem Unbekannten. Selbst wenn die Wissenschaft kaum mehr glaubt, das Leben restlos verstehen zu können, glaubt sie doch an die Fähigkeit und Berechtigung wissenschaftlich-rationaler Methoden, dieser Erkenntnis näherzukommen. Zaumseil sucht nach anderen Erkenntnisformen, erkundet das Vor- und Unbewusste, nutzt die Imagination als Möglichkeit, bisher verschlossene Räume zu betreten, auch wenn sich diese Räume, je weiter man in sie eindringt, immer mehr ausdehnen: „Es gilt Strategien zu entwickeln, an die Quellen dessen, was aus uns sprechen möchte und ganz im Vorbewussten liegt, zu gelangen.“
Die Künstlerin steuert somit das Bild nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, sondern lässt es auf sich zukommen. Vom wahrnehmbaren Wirklichen ausgehend ist sie offen für die Begegnung mit allen anderen Möglichkeiten des Seins. Sie bedient sich des Traums, der aus dem Arsenal von realen Erfahrungen und Fragmenten erlebter Wirklichkeit durch Verknüpfung, Verwandlung, Verselbstständigung eine eigene unendliche Wirklichkeit schafft, die sich in Brechungen und Spiegelungen auf unser Leben zurückbezieht. Zaumseil träumt hellsichtige Träume, Tagträume, Alpträume und versucht, hinter die Türen ins Dunkel zu schauen. Zugleich ist der Traum für die Künstlerin ein nützliches Modell der Bilderfindung, der Kombination und Metamorphose bekannter Dinge, die so ihren rätselhaften Sinn erhalten. Zaumseil träumt und beobachtet ihren Traum, in dem sich das Tatsächliche und das Vorgestellte durchdringen. Das Wirkliche gleitet ins Unwirkliche und zurück. Damit wird eine der Grundbedingungen des Phantastischen in der Kunst fortgeschrieben, das Unwahrscheinliche wahrscheinlich und das Wahrscheinliche unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Die Bilder bewahren ihr Geheimnis, obwohl oder gerade weil sie genau erdacht sind. Die offene fließende Bewegung in Traum und Phantasie führt nicht zu zufälligen, unscharfen Bildern, in den Architekturen und Landschaften artikuliert sich vielmehr ein bewußter künstlerischer Wille. Zaumseil ist eine überlegte Organisatorin des Dunkels. Die Erfahrungen des Traums, Ort- und Bodenlosigkeit, Stürzen und Steigen, Leere und Labyrinth teilen sich gerade deshalb in den Bildern mit, weil Zaumseil für sie präzise Metaphern findet. So erscheinen die Bilder als Schnittpunkte von Geplantem und Ungeplantem, Willkürlichem und Unwillkürlichem, Gesehenem und Ungesehenem, Wirklichkeit und Traum, äußeren und inneren Bildern, Verlockung und Bedrohung.
Zaumseils Bilder sind vor allem Träume vom Raum. Ohne den Raum kann der Mensch nicht sein. Er ist nicht nur eine Hülle, die die Dinge umgibt, sondern die Bedingung für die Möglichkeit, dass etwas anwesend ist. Ohne die Dinge im Raum bleibt nicht nichts, die Leere ist nicht nichts, sondern Möglichkeit grenzenloser Freiheit und grenzenloser Verlorenheit. Der Mensch erfährt den Raum als Weite, Höhe, Tiefe, als eine Ausdehnung nur, indem er ihn ermisst, indem in den Raum als unbegrenztem Kontinuum etwas hineingestellt ist, an dem unser Sehen und unser Körper Halt findet und sich orientieren kann. In der Topographie von Landschaften findet der Mensch Punkte, auf die er sich zuordnen, Ferne und Nähe bestimmen kann. Ein Boden, eine Decke, Wände definieren die Sicherheit eines Ortes in der Offenheit des Raums. Nur gelegentlich geraten wir in den Taumel der scheinbar endlosen Weite einer Landschaft oder erleben die Enge eines Zimmers oder dessen labyrinthische Vervielfältigung als Bedrohung. Weil letztlich immer etwas da ist, Dinge, zwischen denen wir uns bewegen und auf die wir zugehen, Wände, die unseren Blick begrenzen, Böden, auf denen wir stehen, wird der Raum als etwas selbstverständlich Gebenenes und Verfügbares hingenommen und übersehen. Zaumseil artikuliert die Fragwürdigkeit und Unverfügbarkeit des Raumes und der Erfahrung des Raums, sie unterläuft unser Vertrauen in seine Eindeutigkeit und Stabilität.
Skulptur und Zeichnung fordern und ermöglichen Raumerfahrungen von unterschiedlicher Qualität. Skulpturen befinden sich als Körper von bestimmter Dimension in einem Raum, der auch der Raum des Betrachters ist. Er steht auf dem Boden, auf dem die Skulpturen stehen, er kann um sie herumgehen und sie berühren, sie verweisen nicht auf anderes, sie sind, was sie sind. Eine Skulptur, einzeln oder als Ensemble, prägt den realen Raum und wird von ihm geprägt, einerseits gibt sie dem Raum eine Richtung, beeinflusst die Erfahrung seiner Größe, anderseits wird sie selbst nur unter den Bedingungen dieses Raums, den Wänden, der Decke, dem Boden, dem Licht wahrgenommen. Raum ist aber nicht nur ein Phänomen, das die Skulptur um sich herum erschließt, sondern das sie in sich bildet. Die Skulpturen Zaumseils sind immer Hohlkörper, die einen imaginären, weil uneinsehbaren Raum umfassen. In diesen Gefäßen scheint eine Kraft am Werk, die den plastischen Körper von innen dehnt und spannt, eine geheimnisvolle Energie, die durch die dunklen Öffnungen der Skulpturen ein- und abfließt. So verbindet sich der Innen- mit dem Außenraum. Von außen und innen gleichermaßen wirkende Kräfte stabilisieren das Volumen der schweren Körper und halten sie in Spannung.
Auch die Zeichnungen gehören zum Raum des Betrachters. Er empfindet sie als Teil seines Raums, denn sie sind an einer Wand befestigt, die diesen Raum begrenzt und bestimmt. Der Betrachter nimmt die Zeichnungen zunächst als markante dunkle Flächen auf dem hellen Grund der Wand wahr, und auf diese Weise beinflussen sie zwar sein Erlebnis des Raums, aber zugleich empfindet der Betrachter die Zeichnungen nicht so, dass sie in den Raum hineinwirken und ihn substanziell verändern. Sie weisen nicht auf den Raum um sich herum, sie weisen auf sich selbst. Die Skulptur und die geradezu physische Einheit von Mensch, Raum und Skulptur vermag der Mensch nur zu erleben, wenn er sich schauend und gehend durch den Raum bewegt. Solange die Zeichnung nicht als Teil eines installativen Zusammenhangs dient, benötigt sie die Wand lediglich, um daran aufgehängt zu werden, sie benötigt einen Raum davor, um einen Ort anzubieten, vom dem aus sie gut gesehen werden kann. In weitaus größerem Maß ist die Zeichnung das andere Gegenüber, die andere Realität. Der Sinn der Zeichnungen Zaumseils ist es nicht, flache Objekte im Raum zu sein, der Sinn ist, dass sie einen anderen Raum zeigen, in den der Betrachter hineinschaut. Angesichts der Zeichnung vergisst der Betrachter die Wand als Träger der Zeichnung, er vergisst den Boden, auf dem er steht, er vergisst überhaupt seinen Ort im Raum, um imaginativ Teil dieses anderen Raums zu werden, den die Zeichnung innerhalb der faktischen Zweidimensionalität der Bildfläche entwirft. Diesem Anspruch entspricht die Größe der Zeichnungen von bis zu zwei mal vier Metern. Durch diese Dimensionen kann der Betrachter eine Position einnehmen, von der aus für sein Sehen und Empfinden der Raum außerhalb der Zeichnung und die Flächigkeit der Zeichnung weitgehend ausgeblendet ist.
Was sieht der Betrachter, so hineingenommen in das Bild? Sind dies Räume für ihn? Zumindestens lösen sie Assoziationen und Erinnerungen aus an Trichter, Wirbel, Erhebungen, Abgründe, Verwerfungen wüster Landschaften, fremder Gestirne, vielleicht aus großer Ferne oder aus großer Nähe. Architekturen und ihre Details tauchen auf, Balken, Winkel, Treppen, Verstrebungen, Durchgänge, Schächte, die sich wie Waben endlos aneinander reihen. Der Betrachter schaut in diese Räume hinein, er findet aber keinen Ort für sich, keine Sicherheit von Boden und Decke, keine Wege, sein Auge vermag das Dunkel nicht zu durchdringen. Diese Erfahrungen bleiben, ob man sich nun außerhalb der räumlichen Konstruktionen oder in ihnen zu befinden scheint, von oben auf sie schaut oder von unten hinaufblickt wie in den neuen Zeichnungen Zaumseils. Es gibt keinen festen Standpunkt, vielleicht ein Schweben, doch Zaumseil offenbart durch Zeichnungen von abkippenden Kegeln auch, dass Kräfte in diesen Räumen existieren, die die Dinge bewegen und verändern. Teil welches Ganzen sie sind, wo sie beginnen, enden, ihren Grund haben, zeigt sich nicht. Dies bleibt im Dunkel, aber auch durch die Grenze der Zeichnung verborgen. Denn gerade darin liegt eine Qualität des Zeichnung, dass erst ihre Grenze die Unbegrenztheit des von ihr Gezeigten eröffnet und ermöglicht. Die Zeichnung erschließt die Vorstellung eines Kontinums von Raum und Zeit, weil sie in ihrer faktischen Dimension und Begrenztheit als Ausschnitt aus diesem Unendlichen wahrgenommen werden kann.
Bilder einer labyrinthischen düsteren Welt aus ineinander gefügten Räumen, von denen das Bild jeweils nur einen Teil wiederzugeben vermag, haben ihre Tradition. Sie beginnt mit den „Carceri“ von Giovanni Battista Piranesi, einer Folge von Radierungen, die vor allem in der zweiten, 1760 erschienenen Fassung eine zentrale Bedeutung für die Geschichte des Phantastischen in der Literatur und den bildenden Künsten besitzen und in ihrer kafkaesken Ausweglosigkeit auch Erfahrungen der Gegenwart wiedergeben. Diese unterirdischen Kerker sind keine ´wirklichen´ Bauwerke. Piranesi benutzt perspektivische Mittel, die dem barocken Illusionismus entstammen, hier aber nicht zur Vorspiegelung von realistischem Raum eingesetzt werden, sondern zu dessen kaum merklicher und darum beunruhigender Zersetzung. Ein alptraumhaft-endloses Wachstum von Räumen, Podesten, Gewölben, von Treppen, die ins Nichts führen, weitet diese Gefängnisse, sie werden zu bodenlosen Irrgärten, in denen nirgendwo Stabilität oder Ruhe zu finden ist. Winzige Menschen, die Piranesi als Besucher dieser Welt in die Räume einsetzt, verdeutlichen deren gewaltigen Ausmaße. Andrea Zaumseils Architekturen mögen in ihrer Dunkelheit und Perspektivik an Piranesis Erfindungen erinnern, so, als würden sie Details aus dessen Kerkerwelt abbilden. Doch die Künstlerin erlaubt nicht, die Größe ihrer Räume abzuschätzen und ein körperliches Verhältnis zu ihr zu finden, bei ihr tritt der Mensch nicht in Erscheinung.
Haben die Menschen diese Welt verlassen oder wurde sie für sie gebaut? Ist sie archäologisches Relikt oder Entwurf für eine zukünftige Existenz, Erinnerung oder Vision? Und mit welcher Funktion, zu welchem Gebrauch? So scheint die Empfindung der Zeit nicht nur durch die Rotation der Spiralen und Strudel den Räumen eingeschrieben. Anderseits wirken diese auch, als seien sie von Zeit und Vergängnis nicht berührbar. Wird sich dieses Dunkel, dieses Licht je verändern? Wandert ein kalter Mond über diese Landschaften oder wirft ein künstliches Licht seine Strahlen in diese Welt? Für Zaumseil sind schwarz und weiß, Dunkelheit und Licht zunächst künstlerische Gestaltungsmittel, um überhaupt eine räumliche Situation zu erzeugen, Formen entstehen zu lassen, ein Agieren im Wechselspiel und gegenseitiger Begrenzung, denn das Dunkel ist nur deshalb, weil Licht ist, und das Licht, weil Dunkelheit ist. Auch die schwarz patinierten Skulpturen, die das Licht aufsaugen und lediglich in geringem Maß reflektieren, nehmen im hellen Umraum dieses Verhältnis auf. Aber natürlich ist das Dunkel auch die Nacht der Welt, in der das Licht meist nur als Reflex eines Lichts, das von außen in diese Welt hineinfällt, erscheint. Es ist die Finsternis, in der sich der Mensch bewegt, ohne zu wissen, wohin er sich wenden muss. Vielleicht gibt es die Erwartung, dass bloß das Licht noch nicht stark genug ist und der Grund, auf dem man stehen und Halt finden könnte, nur im Dunkel verborgen ist. Vielleicht würde sich dann auch der Plan und der Sinn dieser Gegenden, das System dieser Bauten offenbaren.
Andrea Zaumseil ist eine Künstlerin, die mit Intensität an der Erweiterung ihrer artistischen Mittel arbeit, die mit Lust zeichnet, und doch sprechen ihre Zeichnungen von einer tiefen Skepsis gegenüber dem Zustand der Welt. „Wundlandschaft“ schreibt sie auf ihre Zeichnungen, so als wären die Löcher, Höhlen, Krater auch die aufgerissenen Wunden, die sich in die eigne Haut, in die Haut des Anderen eingezeichnet haben, Verletzungen, die die Dunkelheiten der Geschichte schlugen und die der Mensch in der Gegenwart nicht aufgehört hat sich zuzufügen. Obwohl der Mensch nicht sichtbar ist, geht es doch um den Verlust seiner Individualität, um seine Einsamkeit, Angst und Bedrohung, sein falsches Leben. In ihre Zeichenhefte klebt die Künstlerin Abbildungen von Elendsquartieren, Flüchtlingslagern, endlosen Menschensilos, Atommüllendlagern, babylonischen Türmen, Bildern menschlicher Hybris und Vergeblichkeit, und dokumentiert, dass ihre Bilder, so autonom sie aus sich heraus auch entwickelt werden, Diagnosen sind, Deutungen der Welt in elementaren archetypischen Bildern, in der Klarheit des Traums. Dunkel schön, geheimnisvoll verführerisch wirken diese Landschaften und Architekturen, und doch nistet in ihnen Betroffenheit und Melancholie, die deshalb so schmerzlich ist, weil sie den eigenen Teil der Schuld an der Ungerechtigkeit der Welt annimmt. Diese Haltung wird an keiner Stelle von den Bildern plakativ formuliert, aber wir spüren, dass sie ein distanziertes Betrachten nicht zulassen, sondern vielfältige Empfindungen fordern und auslösen. So sieht sich der Betrachter in Zaumseils Bildern Behausungen ohne Schutz gegenüber, Räumen, die nicht verbinden, sondern trennen, schwarzen Nischen, die Gräbern gleichen, sprachloser Isolation. Wohin weisen diese Bilder, ins Dunkel, ins Licht?
- Volker Adolphs in: Die Frau in den Dünen 2002
- Kunstvereine Marburg, Göttingen, Tuttlingen